John Locke gilt bis heute als einer der wichtigsten politischen Philosophen. Einige der liberalen Ideen, die er als einer der Ersten entwickelt hatte, gingen in so manche demokratische Verfassung ein und sind dort immer noch zu finden. Auch wenn wir diese Ideen aus unserer modernen Perspektive vermutlich anders verstehen als Locke vor mehr als 300 Jahren, wirken seine staatsphilosophischen Grundsätze immer noch nach. Doch Locke war nicht von Anfang an der liberale Denker, als den wir ihn heute kennen. Im Folgenden geht es um seinen Weg dorthin.

Der Philosoph wurde 1632 in England geboren und erlebte in seiner Jugend einen Bürgerkrieg, welcher sein Land zerrüttete. Das 17. Jahrhundert war allerdings auch eine Zeit, in der die Naturwissenschaften auf dem Vormarsch waren.Locke lernte die neue Art zu denken vor allem durch seine Kontakte zu einer Gruppe englischer Naturwissenschaftler kennen, nachdem er an Schule und Universität noch nach traditionellen Lehren erzogen worden war. In den zahlreichen Diskussionen über religiöse Toleranz nach dem Bürgerkrieg trat Locke zunächst für deren eindeutig festgelegte Grenzen ein und lehnte Toleranz ab, wenn dadurch Unruhen entstehen könnten. Nach der Wiederherstellung der Monarchie in England verfasste Locke 1660 und 1662 die Tracts on Government, in denen er aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Bürgerkrieg sehr antiliberale und autoritäre Ansichten vertrat. Diese dürften aber nach der Revolutionszeit nichts Ungewöhnliches gewesen sein. In England herrschte in dieser Zeit allgemein eine antiliberale Stimmung. Auch Locke bewertete zu diesem Zeitpunkt Ordnung und Sicherheit höher als individuelle Freiheit und sah diese sogar als Hauptzweck des Staates.

In der zweiten Hälfte der 1660er Jahre begann Locke sich aber von diesen konservativen Ansichten zu lösen, nachdem er 1665/1666 in Brandenburg erlebte, wie Calvinisten, Lutheraner und Katholiken harmonisch zusammenlebten. Ab 1667 lebte Locke als persönlicher Arzt, Sekretär, Erzieher und politischer Berater im Haushalt des späteren Grafen von Shaftesbury. Durch die engen Beziehungen zu den Whigs, die von Shaftesbury geführt wurden, liberalisierte sich Lockes Denken immer mehr. Seine Two Treatises of Government enthalten viele der bereits in der englischen Revolutionszeit 1640 bis 1660 von den Whigs entwickelten Ideen, teils auch solche, die denen der Levellers ähneln.

Die Levellers waren eine Bewegung mit kleinbürgerlich-handwerklicher Basis während der Revolutionszeit, die ein libertäres und demokratisches Programm vertrat. Sie forderten Volkssouveränität, Gewissens- und Glaubensfreiheit, eine geschriebene Verfassung, die Beschränkung der Macht der Herrschenden, Egalitarismus, Schutz des Individuums sowie Vereinfachung, insbesondere des Rechtssystems. Locke dürfte die Leveller-Schriften zumindest gekannt haben. Manche Ähnlichkeiten seiner Eigentumstheorie mit den Ansichten der Leveller sind auffällig.

Man geht heute davon aus, dass Locke die Two Treatises of Government zwischen seiner Rückkehr nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Frankreich 1679 und seiner Flucht nach Holland 1683 geschrieben hat, manche Abschnitte aber erst kurz vor der Veröffentlichung 1689/1690 eingefügt hat. Hauptsächlicher historischer Hintergrund des Werkes war insofern nicht die Glorious Revolution 1688/1689, sondern die Exclusion Crisis von 1679-1681, auch wenn sich viele von Lockes Ideen erst mit der Glorious Revolution durchsetzen konnten. Die Forderungen der Whigs in der Exclusion Crisis gingen aber bereits über den Ausschluss des Katholiken James II von der Thronfolge hinaus. Die Whigs traten für Gewissensfreiheit und Widerstandsrecht sowie gegen Absolutismus und Katholizismus ein und sahen Religion, Freiheit und Eigentum als Einheit.

Die wichtigste politikphilosophische Schrift Lockes ist das Second Treatise of Government, der zweite Teil seiner Two Treatises of Government. Darin sind Lockes nun – zumindest für das 17. Jahrhundert – liberale Ansichten klar erkennbar. Kurz zusammengefasst beantwortet Locke darin die Fragen nach dem Grund und dem Zweck des Staates. Der Grund warum Menschen den Naturzustand verlassen und sich zu staatlichen Gemeinschaften zusammenschließen ist nach Locke die Unsicherheit des Naturzustands. Diese bestehe aufgrund der unkonkreten Naturgesetze sowie der fehlenden Möglichkeit objektiver und unparteiischer Durchsetzung dieser Gesetze und werde verstärkt durch die ungleiche Besitzverteilung nach der Einführung des Geldes. Der Zweck des Staates sei es diese Mängel, aufgrund derer die Menschen bereit sind, den Naturzustand zu verlassen, zu beseitigen und die individuellen Rechte auf Leben, Freiheit und materielles Eigentum zu schützen.

Lockes Vorstellungen von Freiheit, Herrschaftslegitimation und –limitation sowie Gewaltenteilung beeinflussten viele spätere politische Denker wie etwa Jean-Jacques Rousseau oder die Verfasser der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Sie haben sich schließlich auch in unseren modernen demokratischen Verfassungen niedergeschlagen.

Gerade in Zeiten eingeschränkter Freiheitsrechte in vielen Staaten aufgrund der Pandemie sind Lockes Vorstellungen und die Frage wie seine Aussagen hinsichtlich der Aufgaben und des Zwecks des Staates zu interpretieren sind, wieder aktuell geworden. Welches der individuellen Rechte auf Leben, Freiheit und materielles Eigentum ist am höchsten zu bewerten und am schützenswertesten? Wie weit darf eine Regierung in die individuellen Rechte ihrer Bürger eingreifen? Diese Fragen sind auch mehr als 300 Jahre nach der Veröffentlichung von John Lockes Two Treatises of Government nicht endgültig geklärt und sie müssen immer wieder aufs Neue gestellt werden. Weder Locke noch andere politische Philosophen können auf sie eine abschließende Antwort geben, zumal ihre Texte immer in dem jeweiligen historischen Kontext gesehen werden müssen. Doch sie können immer noch Denkanstöße liefern und die aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussion bereichern.


Verwendete Literatur:

Diethe, Jürgen: Lockes Staatstheorie im historischen Kontext. In: Samuel Salzborn (Hg.): Der Staat des Liberalismus. Die liberale Staatstheorie von John Locke. Baden-Baden 2010, S. 29-50.

Kersting, Wolfgang: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt 1994.

Locke, John: The second treatise of government. Englisch/deutsch = Über die Regierung. Stuttgart 2012 (= Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 18884).

Rehm, Michaela: „The A. B. C. of Politicks“: Entstehungskontext und Rezeption von Lockes Zwei Abhandlungen über die Regierung. In: Bernd Ludwig und Michaela Rehm (Hg.): John Locke: Zwei Abhandlungen über die Regierung. Berlin 2012, S. 1–16 (= Klassiker Auslegen, Bd. 43).

Rogers, G. A. J.: Zur Entstehungsgeschichte des Essay Concerning Human Understanding. In: Udo Thiel (Hg.): John Locke: Essay über den menschlichen Verstand. München ²2010, S. 11–38 (= Klassiker Auslegen, Bd. 6).

Schröder, Hans-Christoph: Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1986 (= edition suhrkamp 1279 Neue Folge, Bd. 279).

Thiel, Udo: John Locke. Reinbek bei Hamburg 1990.

Bild:
Godfrey Kneller, Public domain, via Wikimedia Commons


Ein Youtube-Video für alle, die mehr über Lockes Staatsphilosophie erfahren möchten:
Staatstheorie von John Locke, Two Treatises of Government (Gesellschaftsvertrag | Gewaltenteilung)

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